Freitag, 16. Januar 2009

HPV-Impfung (6)

Informationen aus dem "impf-report" Newsletter 23/2008 (www.impf-report.de) vom 09.10.2008 (Teil 1):

Artikel im NEJM: "HPV-Impfung – Grund zur Vorsicht"

Human Papillomavirus Vaccination — Reasons for Caution
The New England Journal of Medicine
Volume 359:861-862, August 21, 2008 Number 8
Charlotte J. Haug, M.D., Ph. D.
(Übersetzung: Axel Berendes)

"Trotz immenser Erwartungen und vielversprechender Ergebnisse aus klinischen Studien fehlt uns immer noch der Beleg für einen effektiven Impfstoff gegen Gebärmutterhalskrebs. Einige Stämme des humanen Papillomavirus (HPV) können Gebärmutterhalskrebs auslösen, und zwei Impfstoffe, die gegen die heute wichtigsten krebsbegünstigenden Stämme (unter ihnen die HPV-16 und HPV-18-Serotypen) sind entwickelt worden.
Das war die gute Nachricht.
Die schlechte Nachricht lautet: der Gesamteffekt dieser Impfstoffe auf den Gebärmutterhalskrebs bleibt unbekannt.
Wie Kim und Goldie (1) in der aktuellen Ausgabe dieser Zeitschrift ausführen, wird die wirkliche Auswirkung der HPV-Impfung auf den Gebärmutterhalskrebs erst nach Jahrzehnten zu erkennen sein.
Obwohl im Juni 2006 in den USA zugelassen wurde, stammen Berichte über die ersten Phase-3-Studien des HPV-Impfstoffs mit klinisch definierten Endpunkten – intraepitheliale Neoplasie des Gebärmutterhalses vom Grad 2 und 3 (CIN 2/3) erst aus dem Mai 2007, wo sie zuerst im New England Journal of Medicine (2) und einen Monat später im Lancet (3,4) veröffentlicht wurden.
Der Impfstoff konnte erfolgreich die Häufigkeit von präkanzerösen Läsionen des Gebärmutterhalses senken, die durch HPV-16 und HPV-18 ausgelöst worden waren, aber eine Reihe wichtiger Fragen blieb unbeantwortet (5,6).
  • Wird z. B. der Impfstoff letztendlich nicht nur die Entstehung der Läsionen verhindern, sondern auch Gebärmutterhalskrebs und Tod?
  • Wie lange hält die durch den Impfstoff erreichte Immunität an?
  • Da die meisten HPV-Infektionen ohne Probleme durch das Immunsystem beseitigt werden – wie wird sich die Impfung auf die natürliche Immunität gegen das HPV auswirken und welche Implikationen entstehen daraus?
  • Wenn man überlegt, dass sich die bisherigen Studien in dieser Kohorte nur auf die Immunantwort fokussieren - wie wird sich die Impfung auf heranwachsende Mädchen auswirken?
  • An der Studie mit den klinischen Endpunkten (z. B. CIN 2/3) waren Mädchen/junge Frauen im Alter zwischen 16 und 24 Jahren beteiligt. Wie wird sich die Impfung auf die Screening-Praxis auswirken?
    Da der Impfstoff nur gegen zwei der krebserregenden Virenstämme wirkt, müssen auch geimpfte Frauen sich weiter auf Gewebsveränderungen im Gebärmutterhals untersuchen lassen. Geimpfte Frauen könnten sich als gegen Gebärmutterhalskrebs geschützt betrachten und daher seltener Screening–Untersuchungen durchführen lassen als umgeimpfte Frauen.
  • Wie wird sich der Impfstoff auf die anderen onkogenen HPV-Stämme auswirken?
    Wenn HPV-16 und HPV-18 effektiv unterdrückt werden, wird das zu einem Selektionsdruck unter den verbleibenden HPV-Stämmen führen? Denn dadurch könnten andere Stämme sich zu signifikant onkogenen Serotypen entwickeln.

Zur Beantwortung der ersten essentiellen Fragen bedarf es jahrzehntelanger Beobachtungen großer Mengen von Frauen.
Die letzte Frage könnte schneller geklärt werden. Veröffentlichte Studienberichte zeigen einen zunehmenden Trend von präkanzerösen Gewebsveränderungen des Gebärmutterhalses, die durch andere HPV-Serotypen als HPV- 16 und 18 verursacht wurden (2, 4, 6).
Allerdings waren diese Ergebnisse statistisch nicht relevant, vermutlich, weil unter den aufgeführten Beobachtungspunkten zu wenig klinisch relevante Endpunkte waren.
Wenn randomisierte kontrollierte Studien mit geimpften und ungeimpften Frauen noch einige Jahre weiter durchgeführt werden, können wir vermutlich wirklich bewerten, ob es sich dabei um einen wirklichen Trend handelt.
Wenn ja, gibt das Anlass zu ernster Sorge. Im Sommer 2007 gab es eindeutig vielversprechende Resultate hinsichtlich der Fähigkeit des HPV-Impfstoffs bei der Verhütung präkanzeröser Läsionen (z. B. CIN 2/3), die durch die Serotypen HPV-16 und –18 ausgelöst wurden.
Dennoch bleiben noch ernste Fragen über die allgemeine Wirksamkeit des Impfstoffs beim Schutz vor Gebärmutterhalskrebs offen, und es sind weitere Langzeitstudien nötig, bevor man umfangreiche Impfprogramme empfehlen kann (5,6).
Leider sind seit diesem Zeitpunkt keine weiteren Langzeitresultate aus solchen Studien veröffentlicht worden.
In der Zwischenzeit ist weltweit auf Politiker Druck ausgeübt worden, den HPV-Impfstoff in nationale oder staatliche Impfprogramme aufzunehmen: Wie können Politiker rationale Entscheidungen über die Einführung medizinischer Verfahren machen, die sich in Zukunft als segensreich erweisen könnten, für die aber ungenügende Beweise vorliegen, und das um so mehr, da wir erst in Zukunft wissen werden, ob diese Intervention wirklich sinnvoll ist, oder – im schlimmsten aller Fälle – sogar schadet?

Eine Möglichkeit, diese Entscheidung zu erleichtern, besteht in der Entwicklung mathematischer Modelle der historischen Entwicklung der fraglichen Erkrankung, der Einführung unterschiedlicher Interventionsstrategien und dem Einsatz der Kosten-Nutzen-Analyse, um so die Kosten und gesundheitlichen Vorteile abzuschätzen, die mit jeder klinischen Intervention verbunden sind. Die Ergebnisse werden typischer Weise in Form der Beträge ausgedrückt, die wir für die zusätzlichen gesundheitlichen Vorteile der Behandlung zahlen müssen – das heißt in Dollar pro Lebensjahr oder qualitätsangepasstem Lebensjahr (QALY), die man einspart.
Kosten-Nutzen-Analysen sind Werkzeuge zur Entscheidungsfindung unter unbekannten bzw. unsicheren Umständen. Diese Analysen alleine liefern keine Beweise, ob eine medizinische Intervention wirksam ist.
In dieser Ausgabe des New England Journal of Medicine präsentieren Kim und Goldie ein Modell der HPV-Impfung und verwenden eine Kosten-Nutzen-Analyse, um so Projektionen der möglichen gesundheitlichen Vorteile und ökonomischen Implikationen des Impfstoffeinsatzes zu erhalten(1). Um die Qualität einer Kosten-Nutzen-Analyse zu bewerten, ist es unverzichtbar, die Inputvariablen des Modells, die Unwägbarkeiten und die Wahl zu taxieren, die von den Wissenschaftlern getroffen wurden.
Eine Analyse einer medizinischen präventiven Intervention zu erstellen – in diesem Fall eines Impfstoffs, den man gesunden 12- jährigen Mädchen injiziert und der sich nach Jahrzehnten auf die Häufigkeit von Gebärmutterhalskrebserkrankungen auswirken könnte - ist äußerst kompliziert. Diese Analyse umfasst ein Modell der historischen Entwicklung der HPV-Infektion in dieser Gruppe von Mädchen für den Rest ihres Lebens, die Wirkung des Impfstoffs während der gesamten Zeit (ob der Effekt gleich bleibt oder abnimmt), die Wirkung auf andere HPV-Stämme, die Auswirkungen des Impfstoffs auf die natürliche Immunität gegenüber HPV-Infektionen, das sexuelle Verhalten dieser Mädchen und Frauen, ihrer Partner und letztendlich das Vorsorgeverhalten dieser Frauen.
Das von Kim und Goldie vorgestellte Modell ist qualitativ gut und ehrgeizig und berücksichtigt die meisten der genannten Faktoren.
Sie kommen zu dem Schluss, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Impfung 12-jähriger Mädchen mit einer auf Zuwachs bezogenen Ratio der Kosten-Nutzen-Analysen in Höhe von 43.600 Dollar pro zusätzlichem QALY [?] verbunden ist, während ein Programm für ältere Mädchen nicht kosteneffektiv wäre.
Allerdings sind die angenommenen Grundvorgaben recht optimistisch angesetzt. So gehen sie von einem lebenslangen Schutz durch die Impfung aus (d. h. es werden keine Auffrischungsimpfungen nötig), der Impfstoff hat auf heranwachsende Mädchen die gleiche Wirkung wie auf Frauen, es kommt zu keinem Auftreten anderer onkogener HP-Virusstämme, geimpfte Frauen nehmen weiter an Screening-Maßnahmen teil, und die natürliche Immunität gegen HPV-Infektionen ist unverändert.
Ob diese Voraussetzungen wirklich so stimmen, ist genau die Frage, die in Studien und Folgeuntersuchungen getestet werden müssen.
Denn wenn diese Grundvoraussetzungen der Autoren nicht stimmen sollten, sinkt der Vorteil der Impfung und wird unter Umständen sogar geringer als der von einfachen Screening-Maßnahmen.
Würde z. B., wie in diesem Artikel erwähnt, die Schutzwirkung der Impfung nach 10 Jahren zurückgehen, wäre eine Impfung deutlich weniger kosteneffizient und das Screening wäre effektiver als Nachholprogramme.

So lange noch so viele Fragen unbeantwortet sind, gibt es gute Gründe, bei der Einführung eines groß angelegten Impfprogramms Vorsicht walten zu lassen. Stattdessen sollten wir uns darauf konzentrieren, solidere Daten durch Forschung zu gewinnen, anstatt folgenschwere kostspielige Entscheidungen auf der Basis bisher unbewiesener Voraussetzungen zu treffen."

http://content.nejm.org/cgi/content/full/359/8/861%20

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