Mittwoch, 30. Dezember 2009

Geschäft mit der Angst

Aus dem "Südkurier" vom 11.12.2009:

„Es ist ein Geschäft mit der Angst“

Der SPD-Gesundheitsexperte Wolfgang Wodarg wirft den Pharmakonzernen vor, bewusst die Gefahren der Schweinegrippe übertrieben zu haben. Mit dem SÜDKURIER sprach er über die kalkulierten Übertreibungen der Pharmaindustrie.

Herr Doktor Wodarg, gibt es die Schweinegrippe wirklich oder ist das nur eine Erfindung der Pharmaindustrie, um das Geschäft anzukurbeln?
Es ist keine Erfindung, aber die Gefahr wird übertrieben. Die Schweinegrippe ist relativ harmlos. Die normale saisonale Grippe fordert viel mehr Opfer.
In Deutschland sind es sonst 8000 bis 15 000 Todesfälle pro Jahr.

Wie kommt es, dass die Furcht vor der Schweinegrippe höher ist als vor der saisonalen Grippe?
Die Pharmaindustrie hat dafür gesorgt, dass die Risiken der diesjährigen Grippe übertrieben werden und die vorbereiteten Pandemiepläne der Weltgesundheitsorganisation (WHO) endlich in Kraft treten konnten. Denn die Konzerne haben mit einer Pandemie spekuliert.
Schon die Vogelgrippe wurde als tödliche Seuche dargestellt, um den Menschen Angst zu machen. Dabei ist es eine Tierseuche und wird nicht wie die saisonale Grippe von Mensch zu Mensch übertragen.
Dennoch hat die Pharmaindustrie diese Gelegenheit genutzt, um Pandemiepläne einzufordern, damit die Regierungen sich verpflichten, Impfstoffe zu bestellen.

Wer profitiert konkret vom Geschäft mit der Angst?
Das sind einige Pharma-Multis wie GlaxoSmithKline, Baxter und Gilead Sciences mit Roche, die an Tamiflu gut verdient haben.
Von Fachleuten wird eine Wirkung dieses Präparates sehr kritisch gesehen. Es verkürzt die Grippe statistisch um einen halben Tag. Dennoch wurden die Pillen überall eingelagert. Das war weltweit gesehen ein Milliardengeschäft. Nun wird die Schweinegrippe dazu genutzt, um dieses Geschäft wieder anzuheizen.
Die zweiten großen Profiteure sind die Impfstoffhersteller. Dazu zählen Unternehmen wie Baxter und Novartis. Ihr Einfluss geht sogar so weit, dass ihre Mitarbeiter bei der WHO am Entscheidungsprozess beteiligt sind.

Ist das zulässig oder Korruption?
Fakt ist, dass Klaus Stöhr, der Leiter der epidemiologischen Einsatzgruppe der WHO, kurz nach der Vogelgrippekampagne direkt zum Pharmakonzern Novartis wechselte. Dort ist er für Grippe-Impfstoffe zuständig.
Ich hatte auf die Gefahren des anfangs von der Bundesregierung bestellten Novartis-Impfstoffes hingewiesen. Denn dieser Impfstoff wurde auf tumorartigen Zellen gezüchtet.
Mit dem Arzneimittel-Telegramm habe ich gefordert, dass man zunächst in klinischen Versuchen das Krebsrisiko ausschließen müsse. Daraufhin hat die Regierung den Auftrag für Novartis zurückgezogen.

Sie waren lange Zeit als SPD- Abgeordneter im Gesundheitsausschuss und sind immer noch im Europarat. Was sagen ihre Kollegen zu diesen Vorwürfen?
Es gab unterschiedliche Reaktionen. Um das zu verstehen, muss man aber wissen, dass es immer die beruhigenden Stimmen des Robert-Koch Instituts und des Paul-Ehrlich Instituts gab. Ich als Mediziner konnte die Aussagen nicht nur politisch, sondern auch fachlich beurteilen. Das ist mein Privileg als Arzt und Epidemologe.

Wie haben die deutschen Fachinstitute auf die Schweinegrippe reagiert?
Die haben diese Panikmache mitgetragen. Die Aussage bei der Vogelgrippe war immer: man weiß nicht, aber vorsichtshalber sollte man, es könnte ja sein, dass es stimmt.
Dieser Ansatz ist wissenschaftlich völlig unhaltbar. Ohne Beweise könnte man jedes Risiko aufblasen.
Außerdem ist er virologisch falsch. Denn Viren, die besonders gefährlich sind und Menschen töten, würden sich den eigenen Nährboden entziehen. Am erfolgreichsten sind Viren, bei denen die Wirte nicht sterben.

Und Wirte sind in diesem Fall Menschen?
Ja. Deshalb verbreitet sich ein Virus, der die Menschen nicht so krank macht, viel schneller. Wenn die Menschen weiterhin zur Arbeit oder in die Schule gehen können, stecken sie viel mehr andere Menschen an.

Wie wichtig ist die Begrifflichkeit für das Geschäft mit der Angst?
Wenn man das neue Virus Rattengrippe genannt hätte, wäre die Furcht vermutlich noch größer. Dahinter stecken reine Marketingüberlegungen. Denn Viren sind zusammengesetzt wie ein Mosaik aus verschiedenen Vorgängern mit unterschiedlichen Markern an der Oberfläche, die man in verschiedenen Säugetieren oder Vögeln wiederfindet. Da kann man sich ein beliebiges Segment aussuchen und die Grippe danach benennen.

Wer hat denn als Erster das Milliardengeschäft mit der Grippe entdeckt?
Mir schien es so, dass die ganze Inszenierung mit der Vogelgrippe begann. Eine herausragende Rolle hatte dabei Donald Rumsfeld.
Er war bis zu seinem Amtsantritt als US-Verteidigungsminister Vorstandsmitglied beim Pharmaunternehmen Gilead Sciences. In seiner Regierungszeit blieb er Großaktionär. Rumsfeld inszenierte dann in der Bush-Administration den Vogelgrippealarm, was eine Verkaufskampagne für das von Gilead Sciences zusammen mit der Schweizer Firma Roche produzierte Medikament Tamiflu war. Als Folge stiegen die Aktien.
In den USA wurden insgesamt 1,5 Milliarden Dollar aus Steuergeldern für Tamiflu ausgegeben. Die WHO hat das mitgemacht.
Das war dann Anlass, dass in Deutschland Pandemiepläne geschmiedet wurden. Einige Pharma-Unternehmen haben das sehr gefördert. Zudem hat die deutsche Regierung dem Pharmaunternehmen Glaxo-Smith-Kline geholfen, in Sachsen ein Impfstoffwerk zu bauen. Es sollte ja möglichst schnell ein Serum produziert werden können. Auch hat sich die Pharmaindustrie eine Abnahmegarantie geben lassen. Dabei war schon der Vogelgrippevirus für Menschen harmlos.

Warum funktioniert die Inszenierung bei der Schweinegrippe nicht so gut?
Die Menschen sind klüger als man glaubt.

Was kann man tun gegen diese fragwürdigen Geschäfte?
Wir müssen für mehr Transparenz sorgen. Ganz besonders bei Institutionen wie der WHO. Es darf nicht möglich sein, dass Spitzenbeamte gemeinsame Sache machen mit der Pharmaindustrie. Das kostet uns hunderte von Millionen, die wir für wichtigere Maßnahmen brauchen. Das ist ganz einfach Korruption. Im Europarat kämpfe ich gemeinsam mit einem englischen Kollegen dafür, dass ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wird. In Deutschland sollte man die Verbindungen der Industrie mit dem Robert-Koch und Paul-Ehrlich Institut durchleuchten.

Mit Wolfgang Wodarg sprach Davor Cvrlje

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