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Berlin (APD) Die Schweinegrippeimpfung nützt aus Sicht von Transparency International bislang in erster Linie der Pharmaindustrie. Die Krankheit sei «katastrophenmäßig aufgebauscht worden», sagte Anke Martiny, Vorstandsmitglied der Anti-Korruptions-Organisation, der Nachrichtenagentur DAPD. Sie beklagte zudem Milliardenverluste durch Korruption im Gesundheitswesen.
Hier das Gespräch im Wortlaut:
DAPD: Der deutsche Gesundheitsmarkt wird auf 250 Milliarden Euro geschätzt. Wie viel wird davon auf illegale oder halblegale Weise abgezweigt?
Anke Martiny: Es gibt nur Schätzungen, denn nur fünf bis zehn Prozent aller Korruptionsfälle werden überhaupt aufgedeckt. Auf Erfahrungen basierte Zahlen aus anderen Ländern besagen, dass im Gesundheitsmarkt drei bis zehn Prozent durch Betrug und andere Arten von Wirtschaftskriminalität verloren gehen. Es besteht kein Grund anzunehmen, dass es in Deutschland weniger ist.
DAPD: Können Sie Beispiele nennen?
Martiny: Der Pharmamarkt. Es macht doch stutzig, dass die Hersteller für Marketing deutlich mehr ausgeben als für die Entwicklung innovativer Produkte. Es werden Medikamente als Innovationen vermarktet, die das gar nicht sind. Und jetzt hat die Industrie die Impfungen entdeckt, zum Beispiel gegen Gebärmutterhalskrebs oder gegen Schweinegrippe. Aus Marketingsicht sind das echte Knüller.
DAPD: Sie haben kritisiert, dass die Mehrheit der Mitglieder der Ständigen Impfkommission, die die Schweinegrippe-Impfung empfohlen hat, Verbindungen zur Pharmaindustrie haben. Wie schlimm sind solche Kontakte eigentlich?
Martiny: Klar braucht man Expertenwissen, und das ist nahe an der Industrie. In diesem konkreten Fall hätte von der STIKO der Nachweis erbracht werden müssen, dass Interessenkonflikte keine Rolle spielten. Von Anfang an hatten externe Experten Zweifel an der Sinnfälligkeit dieser Entscheidung. Eine offene wissenschaftliche Diskussion hat aber nicht stattgefunden.
DAPD: Kann man so weit gehen zu sagen, es gibt eine Massenimpfung, die weniger der Bevölkerung nützt als der Pharmaindustrie?
Martiny: Bei der Schweinegrippe habe ich den deutlichen Verdacht, dass es im Wesentlichen den Anbietern der Impfstoffe genützt hat. Impfen ist ja grundsätzlich vernünftig. Aber man braucht das Vertrauen der Bevölkerung. Wenn man, wie im Fall der Schweinegrippe, eine Sache katastrophenmäßig aufbauscht, die sich hinterher als Papiertiger entpuppt, dann untergräbt man dieses Vertrauen.
DAPD: Immer wieder gibt es auch Skandale mit angeblich korrupten Ärzten. Nimmt das eigentlich eher zu oder ab?
Martiny: Das Bewusstsein, was für ein Schaden angerichtet wird, das hat sich erhöht. Auch die Fachkenntnisse der Staatsanwaltschaften haben sich verbessert. Das ist ein Vorteil. Aber der Druck in dem Markt ist geblieben. Es gibt ein Überangebot. Die Deutschen gehen dreimal so oft zum Arzt wie andere Völker und sind trotzdem nicht gesünder. Es ist ungeheuer, was für ein Schindluder getrieben wird. Bei einem Bruch wird nicht einfach geröntgt, sondern gleich eine CT-Untersuchung gemacht. Es besteht der Hang zum jeweils teuersten. Da muss man bei den Versicherten, den Ärzten, den Herstellern das Bewusstsein schärfen, dass das Geld begrenzt ist.
DAPD: Seit der Gesundheitsreform 2004 haben die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen Korruptionsbeauftragte. Hat das was geholfen?
Martiny: Die Idee war gut. Und die Krankenkassen fügen sich dem auch relativ brav. Nur: Die Kassenärztlichen Vereinigungen verweigern sich fast alle. Nach dem Skandal um Fangprämien von Kliniken an niedergelassene Ärzte haben Krankenhausgesellschaft und Ärzteverbände vereinbart, nun «Clearingstellen» zu schaffen. Aber das ist der größte Quatsch des Jahrhunderts, denn diese Stellen gibt es eben schon. Die tun aber leider nicht das Notwendige. Die Ärzteverbände kennen doch ihre Pappenheimer, sie könnten in Problemfällen durchgreifen. Sie tun es nicht, weil sie sich als Standesorganisation für ihre Kollegen begreifen.
DAPD: Wie groß ist das Problem der Fangprämien eigentlich?
Martiny: Es ist undurchsichtig. Von der Tendenz ist ja richtig, die Arbeit von Ärzten und Kliniken besser zu verzahnen, um Kosten zu sparen. Nur darf sich kein Arzt dem Verdacht aussetzen, dass Patienten aufgrund von Prämienzahlungen eingewiesen werden. Noch problematischer sind die Überweisungen der Ärzte untereinander, vor allem zu Laboren oder Röntgenpraxen, außerdem die Verbindungen zwischen Zahnärzten und Dentallaboren, Orthopäden und Schuhmachern und ähnliches. Da gibt es auch Kick-Back-Zahlungen. Wenn nur ein Prozent dieser Überweisungen zweifelhaft ist, dann bedeutet das insgesamt Milliarden-Verluste im System.
DAPD: Was wäre an zusätzlichen Kontrollen nötig?
Martiny: Wenn man auf die Einhaltung der Gesetze und der Berufsordnungen achten würde, dann wäre das schon fein. Das Risiko erwischt zu werden, muss aber deutlich höher werden. Die Ärzte müssen sich von schwarzen Schafen lossagen. Die Patienten müssen das Gespräch mit den Ärzten suchen, wenn sie Zweifel an einer Behandlung oder Operation haben. Es ist immer noch die Mentalität verbreitet, das zahlt sowieso die Kasse. Aber am Ende zahlt man selber, über die höheren Tarife.
(Die Fragen stellte Verena Schmitt-Roschmann)
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Anke Martiny, seit 2001 stellvertretende Vorsitzende der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International, gehörte von 1972 bis 1989 für die SPD dem Bundestag an. Anschließend war sie für zwei Jahre Kultursenatorin in Berlin, später auch Vertreterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tel Aviv. Die heute 70-Jährige war zeitweilig mit dem inzwischen verstorbenen SPD-Politiker Peter Glotz verheiratet.
Sonntag, 27. Dezember 2009
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